Dr. Holly

Aktuelles Arbeitsrecht Juni 2025

Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung aus den Nicht-EU-Ausland

Mit Urteil vom 15.01.2025 – 5 AZR 284/24 – befasste sich das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit dem Beweiswert von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aus dem Nicht-EU-Ausland.

 

Sachverhalt

Ein Lagerarbeiter war seit 2002 bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. In den Jahren 2017, 2019 und 2020 legte er jeweils unmittelbar nach seinem Urlaub Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor.

Im Jahr 2022 verbrachte er seinen Urlaub vom 22. August bis zum 9. September in Tunesien. Am 7. September meldete er sich krank und legte eine französischsprachige Bescheinigung eines tunesischen Arztes vor, die ihm bis zum 30. September Arbeitsunfähigkeit wegen starker Rückenschmerzen attestierte und häusliche Ruhe sowie Reiseverbot verordnete. Trotz dieser Anordnung buchte der Arbeitnehmer am 8. September ein Fährticket für den 29. September und trat die Rückreise nach Deutschland an. Am 4. Oktober legte er eine weitere Krankschreibung eines deutschen Arztes vor. Der Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung für den September 2022 mit der Begründung, es bestünden Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit. Dagegen wehrte sich der Arbeitnehmer.

 

Entscheidung des Gerichts

Das Bundesarbeitsgericht hob die Entscheidung der Vorinstanz auf, die dem Arbeitnehmer Recht gegeben hatte. Es verwies den Fall zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurück.

 

Entscheidungsgründe

Das BAG stellte klar, dass einer im Nicht-EU-Ausland ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung grundsätzlich der gleiche Beweiswert wie einer in Deutschland ausgestellten zukommt, sofern sie den Anforderungen des deutschen Arbeits- und Sozialversicherungsrechts entspricht, insbesondere zwischen einer bloßen Erkrankung und Arbeitsunfähigkeit unterscheidet. Allerdings kann dieser Beweiswert erschüttert werden, wenn objektive Umstände in ihrer Gesamtschau ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit begründen.

Im vorliegenden Fall sah das BAG folgende Punkte als relevant an:

  • Wiederholte Krankschreibungen unmittelbar nach Urlaubsreisen in den Vorjahren
  • Eine 24-tägige Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Anordnung einer Wiedervorstellung beim Arzt
  • Buchung eines Fährtickets einen Tag nach der ärztlichen Untersuchung, obwohl Reiseverbot bestand
  • Antritt der Rückreise während des attestierten Zeitraums der Arbeitsunfähigkeit)

Diese Umstände könnten in ihrer Gesamtheit Zweifel am Beweiswert der Bescheinigung begründen. Das Landesarbeitsgericht habe diese Aspekte zuvor isoliert betrachtet und keine Gesamtschau vorgenommen, weshalb es sich erneut mit der Sache beschäftigen müsse.

 

Fazit

  • Für Arbeitnehmer: Auch im Ausland ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen haben grundsätzlich denselben Beweiswert wie inländische. Allerdings sollten Arbeitnehmer darauf achten, dass ihr Verhalten den attestierten Anordnungen entspricht. Widersprüchliches Verhalten kann den Beweiswert der Bescheinigung erschüttern und dazu führen, dass sie ihre Arbeitsunfähigkeit konkret nachweisen müssen.
  • Für Arbeitgeber: Arbeitgeber können den Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung anzweifeln, wenn objektive Umstände in ihrer Gesamtheit Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit begründen. Eine isolierte Betrachtung einzelner Aspekte reicht hierfür nicht aus.

Das Urteil betont die Bedeutung einer umfassenden Betrachtung aller relevanten Umstände bei der Bewertung des Beweiswerts von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen, insbesondere wenn sie im Ausland ausgestellt wurden.

(HHo 06.2025)