Aktuelles Arbeitsrecht Juni 2023
Videoaufzeichnung als Nachweis von Arbeitszeitbetrug?
Ein Arbeitgeber erhielt einen anonymen Hinweis, wonach ein Arbeitnehmer regelmäßig Arbeitszeitbetrug begehe durch vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes. In einem Personalgespräch wurde ihm vorgehalten, er habe unbefugt den Werksausweis eines Kollegen vor ein Zutritts-Lesegerät gehalten. Des Weiteren habe er das Werksgelände um 18:31 Uhr betreten, es jedoch bereits um 20:58 Uhr wieder verlassen, obwohl er an diesem Tag zur Nachtschicht eingeteilt gewesen sei und von 21:30 Uhr bis 05:30 Uhr habe arbeiten müssen. Außerdem habe er an einigen Tagen das Werksgelände vor Schichtende verlassen. Zum Beweis berief sich der Arbeitgeber auf Videoaufzeichnungen, die den Arbeitnehmer bei den monierten Verhaltensweisen zeigten. Der Arbeitnehmer meinte, die Erkenntnisse aus den Videoaufzeichnungen und der elektronischen Anwesenheitserfassung dürften nicht zu seinen Lasten herangezogen werden. Das Landesarbeitsgericht Niedersachsen gab ihm mit Urteil vom 06.07.2022 – 8 Sa 1148/20 – im Ergebnis recht. Dem Arbeitgeber sei es hier verwehrt, die Erkenntnisse aus der elektronischen Anwesenheitserfassung und den Videoaufzeichnungen zu verwerten. Was die elektronischen Anwesenheitserfassung betreffe, so stehe der Verwertung eine gültige Betriebsvereinbarung entgegen. Die Videoaufzeichnungen dokumentierten lediglich den Zutritt des Arbeitnehmers auf das Werksgelände und das Verlassen. Die Arbeitszeit beginne nach der geltenden Arbeitsordnung aber nicht mit dem Betreten des Werksgeländes und ende nicht mit dem Verlassen, sondern mit Anwesen- bzw. Abwesenheit des Arbeitnehmers am Arbeitsplatz. Insgesamt sei die Videoüberwachung im vorliegenden Fall unangemessen gewesen. (HHo/06.2023)
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